An der metallfreien Grenzfläche zwischen Passivierung und Halbleiter bilden sich bei allen Halbleiterbauelementen sogenannte Oberflächenladungen, die sich sehr ähnlich wie tiefe Akzeptoren verhalten. Auch an allen anderen Grenzflächen bilden sich Grenzflächenladungen, jedoch nicht in so hohen Flächendichten wie an der Halbleiteroberfläche. Da sie zudem nicht so häufig umgeladen werden wie Oberflächenladungen, ist ihr Einfluß auf die Bauelementeigenschaften nicht so gravierend. Die Oberflächenladungen beeinflussen nicht nur das Oberflächenpotential, sondern auch den Potentialverlauf im Inneren des Bauelements [128, 132]. Damit haben die Oberflächenladungen einen ähnlichen Einfluß auf die Drainstrom-charakteristik, wie die DX-Zentren [87], d.h. sie verschlechtern das Ladungskontrollverhalten. In der Simulation können sie am besten durch eine negative Flächenladung an der Oberfläche des Halbleitermaterials beschrieben werden. Abbildung 6.20 zeigt die Transferkennlinie des LN-16 simuliert mit MINIMOS NT für verschiedene (homogene) Oberflächenladungsdichten.
Abbildung 6.20: Transferkennlinie des LN-16, simuliert mit MINIMOS NT für verschiedene Oberflächenladungsdichten.
Da die Oberflächenladungen nicht wie die DX-Zentren nur die Raumladungszone direkt unter dem Gate beeinflussen sondern vielmehr auch die Potential- und Feldverteilungen unter den nichtkontaktierten Bereichen, wirken sie sich auch nicht nur auf den Sättigungsbereich der Transferkennlinie, sondern auf die gesamte Drainstrom Charakteristik aus. Der Vergleich mit einer ähnlichen Analyse, durchgeführt mit der Methode der MONTE CARLO Simulation (vgl. Kapitel 5.3, Abb. 5.17), zeigt eine weitgehende Übereinstimmung bei der Betrachtung des Drainstroms IDSS für verschiedene Oberflächenladungsdichten normiert auf den Drainstrom IDSS ohne Oberflächenladungen (Abb. 6.21).
Abbildung 6.21: Vergleich des normierten Drainstroms IDSS (VDS = 2 V, VGS = 0 V) des LN-16, simuliert mit MINIMOS NT (geschlossene Kreise) und mit der MONTE CARLO Methode (offene Kreise) für verschiedene Oberflächenladungsdichten (Betrag).
Insgesamt kann damit die Oberflächenladungsdichte ebenfalls
als Fitparameter verwendet werden, zumal es keine zuverlässigen
Meßwerte dieser Größe in der Literatur gibt.
Ein Richtwert könnte allenfalls das Oberflächenpotential
sein, das im allgemeinen mit ss 0.5 V angegeben wird. Dies läßt
auf eine mittlere Oberflächenladungsdichte von
NSS 1.51012 cm-2 schließen. Bisher sind die Oberflächenladungen
nur als konstante Größe in MINIMOS NT implementiert.
Ob die Erweiterung des Generations-/Rekombinationsmodells auch
auf die Oberflächenladungen einen zusätzlichen Effekt
zeigt, bleibt abzuwarten.