Die Behandlung von Transportphänomenen, insbesondere die theoretische Behandlung thermoelektrischer Effekte ist aufgrund unterschiedlicher Traditionen der Theoriebildung heterogen.
Zunächst ist das Gebiet der irreversiblen Thermodynamik [26], [35], [106] zu nennen. Eines ihrer Anwendungsgebiete ist die Thermoelektrizität. Die Theorie wurde zunächst für den metallischen Leiter ausgearbeitet [26], [115], [180], später aber auch auf den Halbleiter angewandt [52], [91], [192]. In jüngerer Zeit ist die irreversible Thermodynamik eine fruchtbare Verbindung mit der kontinuumsmechanischen Hydrodynamik eingegangen [82], [86], [90], [157].
Aus der Festkörperphysik ist die Halbleiterphysik entstanden. Sie enthält neben der Transporttheorie eine Theorie des Bauelementeverhaltens [71], [72], [87], [93], [132], [134], [121], [135], [153], [165], [177], [182], [189]. Thermoelektrische Effekte werden im Rahmen der sogenannten formalen Transporttheorie behandelt.
Bedingt durch den enormen Zuwachs an Computerrechenleistung und die dadurch gegebenen Möglichkeiten der Anwendung aufwendiger numerischer Verfahren zur Simulation des Bauelementeverhaltens, hat sich am Schnittpunkt von Universität und Industrie die Bauelementesimulation als eigene interdisziplinäre, ingenieurwissenschaftliche Disziplin mit eigener Tradition etabliert. Transportprobleme werden auf der Basis der Maxwellgleichungen und der Momentenentwicklung der Boltzmann Transportgleichung behandelt [18], [23], [28], [50], [89], [168], [178], [187].
Alle Transportmodelle der konventionellen Bauelementesimulation beruhen auf der Boltzmanngleichung, die selbst die Spitze der Transportmodellhierarchie einnimmt. Die Momentenentwicklung der Boltzmanngleichung ergibt eine Ladungsträger-, eine Impuls-, und eine Energiebilanzgleichung. Sie bilden das hydrodynamische Modell (). Begnügt man sich mit einer vereinfachten Form der Impulsbilanzgleichung bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Energiebilanzgleichung, erhält man das Drift-Diffusionsmodell (), welches das untere Ende der Hierarchie bildet. Zusätzliche Varianten ergeben sich, wenn homogene bzw. stationäre Sonderfälle betrachtet werden [88].
Für die ersten thermoelektrischen Simulationen wurde ein heuristisches Modell verwendet [3], [40], [78]. Es sieht die Erweiterung des Drift-Diffusionsmodells um einen Thermodiffusionsteil vor (Drift-Erweiterte Diffusion, ) und wendet die klassische Wärmeflußgleichung an. In jüngster Zeit sind zwei rigorose Modelle für den thermoelektrischen Transport vorgeschlagen worden. Eines beruht auf Prinzipien der irreversiblen Thermodynamik [200]. Das andere basiert auf dem hydrodynamischen Transportmodell [155].
In dieser Arbeit wird ein Modell für den thermoelektrischen Transport im Halbleiter (Silizium) aus Prinzipien der irreversiblen Thermodynamik hergeleitet. Es zeichnet sich durch die selbstkonsistente Berücksichtigung von Hochdotierungseffekten aus (Erweiterte Drift-Erweiterte Diffusion, ). Besondere Aufmerksamkeit wird der Entropiebilanzgleichung gewidmet. Die Ableitung der lokalen Entropieproduktion im Halbleiter erlaubt die Herleitung von Stromrelationen, die sich im isothermen Fall auf das Drift-Diffusionsmodell reduzieren. Diese Methode ist als Alternative zur Herleitung aus der Boltzmanngleichung durch Momentenentwicklung zu sehen. Außerdem wird gezeigt, wie Methoden der irreversiblen Thermodynamik auf die den Halbleiter konstituierenden Teilsysteme (Elektronen-, Löcher-, Phononensystem) angewendet werden können.
Mit Mitteln der kinetischen Theorie können mikroskopische Prozesse identifiziert werden, die für makroskopische Effekte verantwortlich zeichnen. Ausgangspunkt für diese Untersuchungen ist das Boltzmannsche H-Theorem, das zur Ermittlung der lokalen Entropiequelle in Abhängigkeit atomistischer Größen verwendet werden kann. Auf diese Weise ist es möglich, Zusammenhänge zwischen (makroskopischen) Energieformen des Elektronenensembles mit (mikroskopischen) Energieformen des Einzelelektrons im Bändermodell herzustellen. Die physikalische Bedeutung des makroskopischen Wärmeflusses und Entropiestromes läßt sich durch Bezugnahme auf mikroskopische Größen verdeutlichen.
Die Theorie der Thermoelektrizität der Teilsysteme zusammen mit der Formulierung der lokalen Entropieproduktion mit den Mitteln der kinetischen Theorie bilden die Voraussetzungen für eine grundsätzliche Klärung der vermeintlichen Diskrepanz zwischen dem auf thermodynamischen und dem auf hydrodynamischen Grundlagen beruhenden thermoelektrischen Transportmodell. Es kann gezeigt werden, unter welchen Umständen die aus beiden Ansätzen resultierenden Theorien der Thermoelektrizität äquivalent sind. Der Beweis gelingt durch Betrachtung von Bilanzgleichungen verschiedener Energien des Gesamtsystems und der Teilsysteme, insbesondere der Bilanzgleichungen der kinetischen und potentiellen Energie der Elektronen, Löcher und Phononen. Er impliziert die Äquivalenz der thermodynamischen und kinetischen Definition der Temperatur.