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Theorie der Störstellenstreuung
Um die Streuung von Elektronen an ionisierten Störstellen zu beschreiben,
wollen wir uns der klassischen Vorgehensweise bedienen und die Ladungsdichte
der Störstelle durch eine kontinuierlich angenommene Ladungsverteilung
ansetzen,
die ein Störpotential erzeugt, mit dem Leitungselektronen wechselwirken
können. Diese Wechselwirkung nennt man allgemein Streuung
.
Diese klassische LTFA zur Beschreibung der Ladungsverteilung von Störstellen
liefert tatsächlich den korrekten Streuquerschnitt, solange man sich
im Gültigkeitsbereich der Bornschen Näherung befindet [Dis32,Mes90b].
Die totale Ladungsdichte einer Störstelle der Ordnungszahl Z
und der Elektronenzahl N in einem Festkörper kann nach Thomas-Fermi
geschrieben werden als
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(2.1) |
mit der Normierungsbedingung
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(2.2) |
Dabei wurde der Ursprung des Koordinatensystems in den Kern der Störstelle
gelegt. Der erste Term auf der rechten Seite von 2.1
stellt die punktförmige Kernladung im Zentrum der Störstelle
dar, während
die räumliche Verteilung der Valenz- und Kernelektronen beschreibt.
(2.1) ist eine Verallgemeinerung der üblicherweise
angenommenen punktförmigen Ladungsdichte der Ladung
(in Einheiten der Elementarladung e). Wir werden später noch
sehen, daß diese Verallgemeinerung notwendig ist, da die räumliche
Ausdehnung der Valenz- und Kernelektronen dann wesentlich zur Beschreibung
des Streuvorgangs wird, wenn der Stoßparameter in der Größenordnung
des effektiven Bohr-Radius (Anhang A)
ist, sodaß die Störstelle nicht mehr als Punktladung approximiert
werden kann.
Die Gesamtladung der Störstelle ergibt sich durch Integration von
(2.1) über B
zu
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(2.3) |
Das durch (2.1) erzeugte Coulomb-Potential
V0 genügt der Poisson-Gleichung
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(2.4) |
und ist gegeben durch
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(2.5) |
Durch Übergang in den Impulsraum erhalten wir für (2.4)
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(2.6) |
wobei der Formfaktor der Elektronendichte
definiert ist als
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(2.7) |
Der Atomformfaktor kennzeichnet das Streuvermögen eines einzelnen
Atoms. Er ist eine Funktion der Wellenlänge (Energie) und des Streuwinkels.
Der Formfaktor kann experimentell bestimmt werden und liegt tabellarisch
als Funktion von
für praktisch alle Elemente vor [SV74].
Seine glockenförmige Form (als Funktion von q, Abb.2.6-Abb.2.7)
entsteht dadurch, daß das Atom einen endlichen Durchmesser hat, sodaß
bei seitlicher Streuung die Teilwellen seiner Elektronen miteinander interferieren.
Nur bei Vorwärtsstreuung (q=0) sind alle diese Teilwellen in
Phase, sodaß F gleich der Elektronenzahl wird. Ein verschwindender
Impulsübertrag bedeutet aber, daß der Stoßparameter sehr
groß ist, also das gestreute Elektron sehr weit von der Störstelle
ist, sodaß es diese als Punktladung ``sieht''.
In praktisch allen wissenschaftlichen Arbeiten (z.B. [EGR80,CF88,Rid91],
um nur einige zu nennen.),
aber auch in Fachbüchern, die ionisierte Störstellenstreuung
in Halbleitern behandeln [See89,Fer91,Rid93,
Sin93,Tom93],
findet sich interessanterweise keinerlei Hinweis auf den Formfaktor. Bei
der Herleitung des Streupotentials wird von einer punktförmigen Störstelle
der Ladung
ausgegangen [See89,Fer91,Rid93].
Hinzugefügt sei noch, daß dieselbe Näherung bei der Herleitung
der Abschirmlänge (siehe Anhang C) gemacht wird.
Sei
der ``Radius'' des Störstellenatoms, also der mittlere Abstand der
Elektronen vom Kern, so ist für
der Formfaktor
,
also gleich der Elektronenzahl, d.h. die q-Abhängigkeit des
Formfaktors kann vernachlässigt werden
.
Diese Bedingung ist erfüllt in niedrig- bis mitteldotierten Halbleitern
,
wo der Stoßparameter so groß ist und der Kern von den Elektronen
so abgeschirmt wird, daß das gestreute Elektron eine punktförmigen
Ladungsdichte
,,sieht``
.
Der Formfaktor wird zwar in der Hochenergiephysik berücksichtigt, wo aufgrund der hohen Energien der gestreuten Teilchen die Ladungsverteilung der inneren Elektronen bei der Streuung nicht vernachlässigt werden kann [BF59]. Jedoch bei der niederenergetischen Störstellenstreuung ist es üblich, die Ladungsverteilung der Valenz- und Kernelektronen zusammen mit dem Kern als punktförmige Einheitsladung anzunähern.
Es gibt prinzipell zwei Möglichkeiten, ein Elektron näher an ein Streuzentrum zu bringen: die kinetisch Energie des Elektrons bei gegebenem Potential zu erhöhen oder bei gegebener kinetischer Energie das Potential zu schwächen. Bei hochenergetischen Streuprozessen an Atomen hat man ein gegebenes Potential und variiert die Energie der gestreuten Teilchen. Bei der Störstellenstreuung in Halbleitern jedoch variiert die Reichweite des Streupotentials der ionisierten Störstelle durch die dotierungs- und temperaturabhängige Abschirmung (siehe Anhang D) über mehrere Größenordnungen. Mit zunehmender Dotierung werden die Störstellen von den Leitungselektronen stärker abgeschirmt, sodaß die effektive Reichweite des Streupotentials abnimmt. Das bedeutet, daß die Elektronen bei gegebener Energie näher an die Störstellen herankommen, sodaß der Einfluß der Valenz- und Kernelektronen auf den Streuvorgang zunimmt.
Der Impulsübertrag steigt mit zunehmendem Streuwinkel. Da andererseits die Reichweite des Streupotentials mit zunehmender Dotierung abnimmt, verringert sich der klassische Stoßparamter und damit der Streuwinkel des Elektrons, weil es in Kernnähe aufgrund mangelnder Abschirmung stärker gestreut wird (siehe Anhang F). Mit geringer werdendem Abstand gewinnen die Terme höherer Ordnung einer Multipolladung an Bedeutung (z.B. [Hof74]), sodaß der Einfluß der Valenz- und Kernelektronen auf den Streuprozess nicht mehr vernachlässigbar ist und die q-Abhängigkeit des Formfaktors berücksichtigt werden muß.
Wir werden im übernächsten Abschnitt bei der Berechnung der
Streuraten noch sehen, daß die Berücksichtigung des Formfaktors
im Impulsraum, welches im Ortsraum einer räumlich verteilten Ladungsverteilung
der Valenz- und Kernelektronen entspricht, es uns ermöglicht, die
unterschiedlichen Dopanden beim Streuvorgang mitzuberücksichtigen.
Alle Ansätze in der Vergangenheit, die unterschiedlichen experimentell
gemessenen Beweglichkeiten der Elektronen für verschiedene Dopanden
bei höherer Störstellenkonzentration theoretisch wiederzugeben,
haben sich als unzureichend erwiesen, sodaß dieses Problem bis heute
ungelöst blieb. Stattdessen wurde der Einfluß des Kerns für
das unterschiedliche Transportverhalten von Elektronen bei hoher Dotierung
verantwortlich gemacht, wobei das Kernpotential der Störstelle durch
heuristische Potentiale (z.B. Topfpotential) angenähert wurde [Csa61,DK72,RSE75].
Auch die Einführung dopanden-abhängiger Parameter, mit denen
das effektive Coulomb-Potential multipliziert wurde, reichte nicht aus,
um die experimentellen Daten zu reproduzieren [BL92].
In der einschlägigen Fachliteratur der letzten 70 Jahre fand ich nur
eine Arbeit von 1955 [Fuj55], die eine räumliche
Ladungsverteilung unter Zuhilfenahme des Thomas-Fermi-Modells (Abschnitt
2.5) für die Störstellen annimmt,
um den elektrischen Widerstand in Legierungen zu berechnen. Bei der Herleitung
von (2.6) wurde stillschweigend angenommen,
daß die Störstellen hinreichend weit auseinander liegen, sodaß
deren Coulomb-Potentiale nicht überlappen. Mit anderen Worten, die
obige Herleitung setzt voraus, daß das Leitungselektron nur mit einer
Störstelle beim Streuprozeß wechselwirkt. Wir werden im Abschnitt
2.2 noch sehen, daß diese Annahme
in dotierten Halbleitern nicht immer gilt (Abbildung 2.1).
Weiters wird angenommen, daß das Coulomb-Potential der punktförmig
angenommenen Kernladung ins Unendliche reicht. Dabei wird jedoch vernachlässigt,
daß die positive Kernladung
der Störstelle im Festkörper von den negativ geladenen Leitungselektronen
teilweise abgeschirmt wird, sodaß nur eine effektive Kernladung
zum effektiven Streupotential beiträgt, das wiederum mit einer charakteristischen
Länge, der Abschirmlänge exponentiell abfällt. Das Phänomen
der Abschirmung (screening) und die damit verbundene Abschirmlänge
wird im Abschnitt 2.3 näher behandelt.