Das nichtkohärente Schichtwachstum kann einerseits beabsichtigt sein, um zum Beispiel eine Zwischenschicht (``buffer layer'') aus einem bestimmten Material mit einer Gitterkonstanten, die nicht durch das Substrat bestimmt sein soll, zu erreichen. In diesem Fall soll die Verspannung meist überhaupt auf Null reduziert werden. Andererseits ist das inkohärente Wachstum durch die mechanische Instabilität meist unerwünscht wie im Fall des Kanalbereichs von HFET oder der aktiven Zone von Laserdioden, wo möglichst perfekte Grenzflächeneigenschaften gefordert werden. In beiden Grenzfällen ist die Kenntnis der sogenannten kritischen Schichtdicke wichtig, um entweder im sicheren Bereich darunter zu bleiben und pseudomorphes Wachstum zu gewährleisten oder zu bestimmen, wie dick die Epischicht sein muß, um einen bestimmten Wert von zu unterschreiten.
Der Haupteffekt, der zur Relaxation führt, ist die Bildung von Linienversetzungen im Kristallgitter (``line dislocations'' ), wie in Abbildung 4.2 schematisch dargestellt.
Diese Versetzungen können entweder völlig spontan neu entstehen oder, was wahrscheinlicher ist, durch schon vorhandene Defekte (meist ``threading dislocations'') induziert werden [63].
Die Relaxation kann auch mit einer Änderung der Morphologie verbunden sein. Anstelle des strikt zweidimensionalen Wachstums (``2D growth''), wobei Monolage für Monolage angelagert wird, treten andere Formen in der Epitaxie auf. Möglich sind etwa der Übergang zu dreidimensionalem Wachstum (Stranski-Kastranov Wachstum , ``3D growth'', ``islanding'') oder die Segregation von Legierungsbestandteilen. Gitterversetzungen sind der dominante Prozeß der Spannungsrelaxation, daher wird in der Folge die Bestimmung der kritischen Dicke auf diese eingeschränkt. Die kritische Dicke für den Übergang von 2D- zu 3D-Wachstum ist in [73] behandelt.
Das 3D-Wachstum hat jüngst auch eine Nutzanwendung gefunden, kann man doch unter bestimmten Bedingungen ``quantum dots '' erzeugen. Das sind mehr oder weniger regelmäßige Anordnungen von pyramidenförmigen Gebilden eines Materials, eingebettet in ein Material mit anderer Zusammensetzung wie zum Beipiel InAs ``quantum dots'' in GaInAs, die die Bewegung von Elektronen auf Null Dimensionen einschränken. Diese gebundenen Zustände erlauben es beispielsweise, Elektronenzustände wie in Atomen zu studieren [134], verbesserte Laserdioden [84,144] oder Bauteile mit wenigen Elektronen, die auf Tunneleffekten beruhen, zu realisieren (``single electronics'').
Die Berechnung der kritischen Dicke für versetzungsfreies Wachstum wurde zuerst von Frank und Van der Merwe durchgeführt [208].
Sie erhielten eine näherungsweise hyperbolische Abhängigkeit von der Gitterfehlanpassung f0,
Zwei Typen von Versetzungen sind energetisch günstig. Sie sind durch folgende Orientierungen von gekennzeichnet [148]: Für Kantenversetzungen gilt , während für Versetzungen .Für (001) Grenzflächen dominieren bei niedriger Fehlanpassung () Versetzungen, wohingegen für hochverspannte Schichten der Kantentyp bevorzugt auftritt, denn er reduziert die elastische Energie der Verspannung effizienter und ergibt niedrigeres [63]. Eine Beschreibung des Übergangs zwischen beiden Typen ist in [34] vorgeschlagen. In Abbildung 4.3 ist die kritische Dicke nach dem MB Modell für GaxIn1-xAs/GaAs abgebildet, sowohl mit dem Originalwert für als auch mit .Für den Extremfall von InAs/GaAs mit ist nur mehr zwei Monolagen groß.
Da (4.15) ein Gleichgewichtsmodell ist, erlaubt es die Bestimmung der verbleibenden elastischen Verzerrung für überkritische Schichtdicken. Durch Inversion von (4.15) ergibt sich die elastische Restverzerrung f (``residual strain'' ) statt f0, wenn man die tatsächliche Dicke h an Stelle von einsetzt. In Abbildung 4.4 ist f normiert auf f0 als Funktion der auf normierten Schichtdicke nach dem MB Modell aufgetragen und mit verschiedenen Studien verglichen. Die von Maigné und Baribeau [139], Dunstan et al. [53] und Krishnamoorthy et al. [118] angeführten Daten sind Werte rein gewachsener Proben (``as-grown'') für verschiedene Legierungen GaxIn1-xAs/GaAs. In der Arbeit von Lourenço et al. [135] wurden die Proben nach abgeschlossenem Schichtwachstum bei verschiedenen Temperaturen ausgeheilt (``annealing'' ). Es fällt zunächst auf, daß - wie vom MB Modell vorhergesagt - die experimentellen Werte f/f0 in einem weiten Bereich tatsächlich von x unabhängig sind. Andererseits sind folgende Schwächen des Modells evident:
Einige Versuche wurden in der Folge unternommen, um die obigen Schwächen zu beseitigen. So wurde etwa die Berücksichtigung von Reibungskräften [148] vorgeschlagen, welche die Bildung von Versetzungen durch Gleiten von Gitterebenen behindern und so die kritische Dicke erhöhen. Der bedeutendste Reibungsanteil im Falle der Versetzungen im Kristall ist die sogenannte Peierlsche Reibung . Deren Berücksichtigung führt zu einem additiven Term zu f0 im Nenner von (4.15). Die kritische Schichtdicke unter Berücksichtigung dieses Reibungsterms ist ebenfalls in Abbildung 4.3 dargestellt (Kurven +friction). Obwohl dies eine Verbesserung bringt und auch als Parameter einführt, ist die Übereinstimmung nicht zufriedenstellend [230]. Die Abhängigkeit von , die die Peierl Reibung beinhaltet, ist außerdem zu schwach. Ein anderes Modell, basierend auf einer Energiebilanz an der Grenzfläche, wurde von People und Bean publiziert [169,170]. Im Original für Kantenversetzungen im Materialsystem Silizium-Germanium (SiGe) entwickelt, sagt es ebenfalls größere Werte von , speziell bei niedrigen Fehlanpassungen, voraus. Im Fall von GaInAs/GaAs ist aber keine ausreichende quantitative Verbesserung festzustellen, außerdem sind die Wachstumsbedingungen nicht berücksichtigt. Untersuchungen zum Verständnis der Transition von elastischer zu teilweise plastischer Verformung wurden von Dodson und Tsao durchgeführt [50,51]. Dabei wird der zeitlich veränderliche Grad der Plastizität durch die Wanderung und Multiplikation von Versetzungen abgeschätzt. Es ist dies das derzeit wohl vollständigste und auch komplizierteste Modell, das speziell bei SiGe gute Ergebnisse liefert.
Da man oft an der elastischen Restverspannung f als Funktion der Wachstumstemperatur unter eventueller vollständiger thermischer Ausheilung bei interessiert ist, kann ein einfaches heuristisches Modell, wie es im folgenden erläutert ist, sehr hilfreich sein.
Der Zeitverlauf des Übergangs von f0 zu f folgt, da die Relaxation ein stark thermisch aktivierter Prozeß ist, einem Exponentialgesetz [123].
Die kritische Dicke ist im vorgeschlagenen Modell [112] durch
h0 [nm] | |
1.0 |
Der Ansatz beruht auf der Beobachtung, daß f/f0 für große Dicken unabhängig von der Legierungszusammensetzung x ist. Dies bedeutet, daß h0 und nur von abhängen. Die funktionale Abhängigkeit von f0 ist hyperbolisch für kleine f0, wie in den anderen Modellen auch. Wie in Abschnitt 4.1.3 erläutert, wird zum Zweck der Modellierung der Verspannungsabhängigkeit diverser Größen für relaxierte Epischichten der Absolutwert von f beziehungsweise für die Parallelkomponente der elastischen Verzerrung und weiterhin Proportionalität der Normal- zur Parallelkomponente angenommen.
In Abbildung 4.5 sind die Meßergebnisse aus [53,118,139] mit dem empirischen Modell (4.17) verglichen. Die Übereinstimmung ist mit Ausnahme des Einsetzens der Relaxation bei (4.16) sehr gut. In Abbildung 4.6 ist das ``annealing'' Experiment [135] im Vergleich mit den Werten aus (4.18) dargestellt. Es ist festzustellen, daß man Ausheiltemperaturen knapp am Schmelzpunkt benötigt, um den vom MB Modell vorhergesagten Wert der Restverspannung zu erreichen.
Zusammenfassend muß darauf hingewiesen werden, daß aufgrund des komplexen, thermisch aktivierten transienten Prozesses der Konversion vom elastischen in das plastische Regime das vorgeschlagene Modell nur eine Abschätzung der Restverzerrung im niedrigen bis mittleren Bereich von f0 bei den üblichen Wachstumstemperaturen sein soll und kann. Schichten jenseits des Gleichgewichtswertes von (MB) sind im Prinzip metastabil. Diese Metastabilität ist aber sehr robust, das ``as-grown'' Modell (4.17) wird daher in den meisten Fällen anwendbar sein. Das MB Modell unterschätzt f, es liefert jedenfalls eine untere Schranke von f.