Bei elektrischen Leitungen treten folgende Effekte auf:
Laufzeit, Dispersion, Reflexion, elektromagnetische Kopplung und Abstrahlung.
Laufzeiteffekte resultieren aus einer endlichen Wirkungsausbreitungsgeschwindigkeit, wobei die maximale Wirkungsausbreitungsgeschwindigkeit bekanntlich die Vakuumgeschwindigkeit ist. Es kann also kein Ereignis vom Sender zum Empfänger schneller als mit Vakuumlichtgeschwindigkeit übertragen werden.
Dispersion liegt vor, wenn die Phasengeschwindigkeit monochromatischer Signale frequenzabhängig ist. Dieser Effekt tritt immer bei widerstandsbehafteten Leitungen auf.
Reflexionen treten bei Leitungsdiskontinuitäten auf, wie z.B. bei einer Änderung der Leitungsgeometrie oder der Materialeigenschaften und natürlich bei Leitungsabschlüssen, die ungleich dem Wellenwiderstand sind. Dieser Effekt kann sich z.B. im Mehrfachschalten bei Digitalschaltungen äußern.
Elektromagnetische Kopplungen zwischen Leitungen bewirken, daß Signale in benachbarte Leitungen eingekoppelt werden.
Hochfrequent betriebene ungeschirmte Leitungen können als Antennen wirken und dadurch zu einer merklichen Abstrahlung führen.
Die oben genannten Effekte lassen sich durch die vier Maxwell-Gleichungen
ergänzt durch die Verknüpfungsbeziehungen
vollständig beschreiben. Voraussetzungen für konstantes und sind homogene, isotrope und lineare Materialien. Eine genauere Diskussion der Verknüpfungsbeziehungen findet man in [Hof86].
Um allgemeine Problemstellungen zu lösen, erweist es sich oft als günstig, Potentiale für
und
einzuführen.
Durch diese Formulierung wird sowohl (2.39) als auch (2.41) identisch erfüllt [Pre93][Hof86]. Die elektrodynamischen Potentiale und legen die Felder und eindeutig fest, umgekehrt sind die Potentiale aus den Felder nicht eindeutig bestimmbar.
Setzt man die Potentialdarstellungen (2.48) und (2.49) in die erste Maxwell-Gleichung (2.38) und dritte Maxwell-Gleichung (2.40) unter Berücksichtigung der Materialbeziehungen ein,
so kommt man auf die inhomogenen Wellengleichungen
Zur Entkopplung der beiden Wellengleichungen wird oft die Lorentz-Eichung
herangezogen.
Eine analytische Lösung des Gleichungssatzes wird trotz einfachster Leitergeometrien und Anordnungen auch für eine reine Randwertaufgabe () kaum möglich sein. Eine numerische Lösung der Maxwell-Gleichungen wird vorwiegend im Frequenzbereich durchgeführt, jedoch sind diese Berechnungsmethoden mit großem numerischen Aufwand verbunden und daher nur für einfache oder periodische Anordnungen geeignet.
Eine übliche Methode, um die Rechenzeiten drastisch zu reduzieren, ist eine Reduktion der Dimensionen. Die drei räumlichen Dimensionen werden durch eine einfache Netzwerkstruktur beschrieben, und es verbleibt eine eindimensionale, nämlich rein zeitliche Beschreibung des Systems. Dieses System, auch Netzwerkmodell genannt, kann nun mit Hilfe bekannter Netzwerkprogramme in seinem Verhalten simuliert werden.
Das System von partiellen Differentialgleichungen wurde durch diesen Schritt auf ein System gewöhnlicher Differentialgleichungen reduziert. So kann die vierdimensionale Beschreibung mit einem System von hyperbolischen Differentialgleichungen (2.51), (2.52), Wellenausbreitungsphänomene beschreiben, während gewöhnliche Differentialgleichungen dazu a priori nicht in der Lage sind. Daher bleiben Effekte wie Laufzeit und Reflexion bei dieser eindimensionalen Betrachtungsweise unberücksichtigt.
Die Beschreibung erfolgt vollständig quasistationär, das bedeutet, daß jedes von einem Netzwerkknoten ausgehende Ereignis sofort (ohne Zeitverzögerung, das heißt mit unendlicher Ausbreitungsgeschwindigkeit) an alle anderen Knoten mitgeteilt wird.
Dieses oft unzureichende Modell kann durch Einführung einer ,,Pseudo-Dimension`` verbessert werden. Dadurch können die die Leitung beschreibenden Netzwerkelemente einfach kaskadiert werden. So kann man eine stark gedämpfte Leitung durch mehrere in Kette geschaltete RC-Glieder modellieren. Diese Verbesserung der Modellierung wirkt sich natürlich nachteilig auf die Simulationsdauer bei Verwendung normaler Netzwerksimulationsprogramme aus. Die nachträgliche Einbringung der verlorenen räumlichen Information kann auch mit einem viel direkteren Weg beschritten werden, nämlich die Dimensionen nicht zunächst von vier auf eine, sondern gleich von vier auf zwei, mit einer Zeitdimension und einer Längenausdehnung, zu reduzieren.
Die das System beschreibenden Gleichungen sind noch partielle Differentialgleichungen und können Wellenausbreitungsphänomene direkt wiedergeben. Längs zur Leitung erfolgt die Ausbreitung schnellveränderlich, quer zur Ausbreitungsrichtung aber weiterhin quasistationär.
Umfangreiche Theorie und Modellbildungen zur Erfassung des Signalverhaltens auf Leiterbahnen werden in [Gra91] angegeben. Für den Praktiker sind [Wan89][Bak90] zu empfehlen.