Die Beweglichkeit wird in (2.125) mittels der effektiven Masse, der Impulsrelaxationszeit und der Elementarladung definiert. Makroskopisch bedeutet sie das Verhältnis der Driftgeschwindigkeit zur treibenden Kraft (3.26), (3.27). Die Relaxationszeit stellt die durchschnittliche Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Streuereignissen dar, denen Ladungsträger ausgesetzt sind. Mit zunehmender Streuwahrscheinlichkeit nimmt die Relaxationszeit und damit die Beweglichkeit ab.
Die Erstellung adäquater Beweglichkeitsmodelle erfordert die Beschreibung einzelner Streumechanismen und ihres Zusammenwirkens. Jedem Streumechanismus entspricht ein Beitrag zur Beweglichkeit . Die wichtigsten Streumechanismen im Volumen eines dotierten Siliziumkristalls sind: Gitterstreuung (), Streuung an ionisierten bzw. neutralen Störstellen (, ) und Träger-Trägerstreuung (). Dazu kommen Streuprozesse an Oberflächen (), die insbesondere im Inversionskanal von MOS-Strukturen berücksichtigt werden müssen. Jeder Effekt wird einzeln beschrieben. Die Gesamtbeweglichkeit kann unter der Voraussetzung der Unabhängigkeit der einzelnen Beiträge, (die nur näherungsweise erfüllt ist), nach der Mathiessen-Regel ermittelt werden [168], z.B.
Der fundamentalste Streuprozeß in Silizium ist die Streuung beweglicher Ladungsträger an thermisch oszillierenden Atomrümpfen des Kristallgitters. Diese Gitterschwingungen nehmen mit steigender Temperatur zu. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit der Gitterstreuung, sodaß mit der Temperatur abnimmt [15], [168], [169]:
In Gl. (3.107) ist die unterschiedliche Abhängigkeit der akkustischen und optischen Phononen von der Temperatur nicht berücksichtigt. Messungen zeigen, daß bei Zimmertemperatur ca. dreimal größer ist als .
Mit größer werdender Dotierung macht sich in Silizium die Streuung der Ladungsträger an ionisierten Störstellen aufgrund Coulomb'scher Wechselwirkung zunehmend bemerkbar. Sie reduziert die relativ hohe Gitterbeweglichkeit (3.107). Wenn die thermische Energie und damit die Geschwindigkeit des Ladungsträgers mit steigender Temperatur größer wird, nimmt die Wahrscheinlichkeit der Coulomb'schen Wechselwirkung mit ionisierten Störstellen ab. Die relative Bedeutung der Streuung an ionisierten Dopanden nimmt deshalb mit steigender Dotierung zu, mit steigender Temperatur jedoch ab. Grundsätzliche theoretische Untersuchungen der Streuung beweglicher Ladungsträger an Störstellen sind in [32], [43] zu finden.
Ein empirischer Ansatz ergibt folgenden analytischen Ausdruck für die kombinierte Gitter-Störstellenbeweglichkeit [36]:
Die Parameter in Gl. (3.108) sind an experimentelle Daten angepaßt. Sie basieren auf Messungen von Majoritätsträgerbeweglichkeiten, werden aber auch für Minoritätsträger verwendet. stellt den kleinsten Wert der Beweglichkeit dar, der in Proben mit den höchsten Dotierstoffkonzentrationen gemessen wird. ist die Gitterbeweglichkeit im intrinsischen Halbleiter. ist eine Referenzkonzentration. bestimmt die Steigung der Funktion im Punkt . , und sind temperaturabhängig [92], [169]:
Die Streuung an neutralen Störstellen ist nur bei tiefen Temperaturen signifikant und wird vernachlässigt [168].
In Hochinjektionsgebieten entspricht die Minoritätsträgerkonzentration größenordnungsmäßig der Majoritätsträgerkonzentration, die zudem wesentlich höher als die Dotierung sein kann. Die beweglichen Ladungsträger bilden in diesem Fall ein quasineutrales Elektron-Loch Plasma. Messungen zeigen [47], [113], daß die Beweglichkeit in Gebieten, in denen Hochinjektion herrscht, aufgrund verstärkter Träger-Träger-Streuung abnimmt [4], [51], [168], [166]. Sie wird durch Coulomb'sche Wechselwirkungen zwischen gleich oder verschieden geladenen beweglichen Ladungsträgern verursacht. Die Streuung erfolgt um den gemeinsamen Massenschwerpunkt. Die einfachste Möglichkeit Träger-Träger-Streuung zu berücksichtigen ist, in Gl. (3.108) durch zu ersetzen [54]:
Gl. (3.116) stellt eine Definition einer effektiven Konzentration von Streuzentren für Coulomb'sche Wechselwirkung dar. berücksichtigt nicht nur die Bruttodotierung, sondern auch die Konzentration der beweglichen Ladungsträger , .
Mit zunehmender Feldstärke macht sich in Silizium Geschwindigkeitssättigung bemerkbar, wodurch die Beweglichkeit (und die elektrische Leitfähigkeit) - verallgemeinert ausgedrückt - von der treibenden Kraft abhängig wird. Diese empirische Tatsache der Abhängigkeit der Beweglichkeit von der treibenden Kraft kann folgendermaßen berücksichtigt werden [36], [169]:
Die Sättigungsgeschwindigkeit für Silizium ist eine Funktion der Temperatur [169]:
Die feldabhängige Beweglichkeit wird in der Bauelementesimulation gewöhnlich verwendet, um den Gültigkeitsbereich des Driftstromausdrucks zu vergrößern. Gl. (3.117) drückt die Tatsache aus, daß sich die Eigenschaften des Systems ändern, wenn die Abweichung vom Gleichgewicht zunimmt. Gl. (3.117) bedeutet eine Abkehr von der linearen Transporttheorie auf der Basis der irreversiblen Thermodynamik. Nach Gl. (2.174) dürfen die kinetischen Koeffizienten Funktionen der lokalen Zustandsparameter wie Temperatur, Quasifermipotentiale usw. sein. Sie werden jedoch in der linearen Theorie im Hinblick auf thermodynamische Flüsse und Kräfte, die in den phänomenologischen Gleichungen auftreten, als konstant betrachtet. Gl. (3.117) muß als empirische Erweiterung der linearen Transporttheorie betrachtet werden, um aus der Erfahrung bekannte Nichtlinearitäten 'post hoc' zu berücksichtigen. Es muß darauf hingewiesen werden, daß die Verwendung von Gl. (3.117) für thermoelektrische Simulationen gegenüber ihrer Verwendung im Rahmen des Drift-Diffusionsmodells keine zusätzlichen Annahmen einschließt (das Drift-Diffusionsmodell beruht ebenfalls auf der linearen Transporttheorie). Es ist bemerkenswert, daß die Beweglichkeit im Rahmen der linearen Transporttheorie sehr wohl widerspruchsfrei von der Zustandsvariable 'Ladungsträgertemperatur' abhängen kann, mit der im hydrodynamischen Transportmodell das Phänomen der Geschwindigkeitssättigung beschrieben werden kann.