Die Konstanz der Fermienergie im thermodynamischen Gleichgewicht gilt auch an Grenzflächen. Dieser Forderung müssen die Grenzflächenmodelle entsprechen. Ist der Zustand des thermodynamischen Gleichgewichts nicht mehr gegeben, das heißt, es fließt ein gewisser Strom über die Grenzfläche, so kann das Modell weiterhin ein stetiges Quasi-Ferminiveau erzwingen. Der Strom ist nach wie vor durch die Volumsmodelle bestimmt. Spezielle Eigenschaften der Grenzfläche kommen dadurch nicht zum tragen (z.B.\ Tunneleffekte). Anders stellt sich der Sachverhalt dar, wenn das Quasi-Ferminiveau an der Grenzfläche springt, also unstetig verläuft. Nun kontrolliert das Grenzflächenmodell den Stromfluß und spezifische Grenzflächeneigenschaften können in das Modell integriert werden.
Wie schon erwähnt, sind die Boltzmanngleichung und die von ihr abgeleiteten Transportgleichungen nur gültig, wenn die räumliche Änderung des Potentials und damit die Änderung der Bandkantenenergien nicht zu ausgeprägt sind.
Abbildung 5.3: Verlauf der Bandkantenenergie im
Übergangsbereich einer Grenzfläche. Die starken Schwankungen der
Bandkantenenergie innerhalb der unmittelbaren Umgebung der
Grenzfläche bedingt, daß die von der Boltzmanngleichung
abgeleiteten Transportgleichungen in diesem Bereich nicht mehr gültig
sind, sondern quantenmechanische Modelle verwendet werden müssen (Bild
a). Werden die Quanteneffekte durch die
Transmissionswahrscheinlichkeit berücksichtigt, kann der
Übergangsbereich idealisiert als Grenzfläche modelliert werden (Bild
b). In den angrenzenden Gebieten behalten die Volumsmodelle ihre
Gültigkeit.
Dieser Sachverhalt ist im Grenzflächenbereich nicht mehr gegeben. Abbildung 5.3a zeigt den schematischen Verlauf der Leitungsbandkante im Grenzflächenbereich. In diesem Bereich sind daher quantenmechanische Effekte, wie etwa Tunneln der Ladungsträger, zu erwarten. Außerhalb des Bereichs ist das Potential hinreichend glatt und die Volumsmodelle sind gültig.
Betrachtet man nun ein Elektron mit einer bestimmten Energie, so kann seine Bewegung im Volumen mit der klassische Mechanik durch einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Impuls und Ort beschrieben werden. Im Grenzflächenbereich ist dieser eindeutige Zusammenhang nicht mehr gegeben, da die Forderung, daß sich die Verteilungsfunktion der Ladungsträger im Phasenraum nur schwach ändert, nicht mehr erfüllt ist (s. Abschnitt 4.1).
Statt dessen kann mit der Quantenmechanik eine Wahrscheinlichkeit angegeben werden, mit der das Elektron im Phasenraum an der Stelle anzutreffen ist. Ist seine Energie geringer als die Barrierenhöhe, so wird es an dieser reflektiert. Es sind jedoch auch einige Pfade möglich, welche die Barriere überwinden. Ähnlich ist die Situation wenn die Energie des Elektrons größer als die Barrierenhöhe ist. Die klassische Beschreibung besagt, daß das Elektron die Barriere überwindet. Die quantenmechanische Beschreibung zeigt jedoch eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Elektron an der Barriere reflektiert wird.
Abbildung 5.4: Transmissions- und Reflexionswahrscheinlichkeiten
im Grenzflächenbereich. Mit Hilfe dieser Wahrscheinlichkeiten werden
quantenmechanische Effekte im Übergangsbereich
modelliert.
Abbildung 5.4 zeigt die verschiedenen Fälle, die an einer Grenzfläche auftreten können. Ein Elektron, das vom Gebiet 1 kommend mit dem Wellenvektor die Grenzfläche erreicht, wird mit der Wahrscheinlichkeit die Barriere überwinden und mit der Wahrscheinlichkeit reflektiert. Ebenso wird ein Elektron vom Gebiet 2 kommend, das mit dem Wellenvektor die Grenzfläche erreicht, mit der Wahrscheinlichkeit die Barriere überqueren und mit der Wahrscheinlichkeit reflektiert. Der Ladungsträgertransport über die Grenzfläche ist somit durch die Wahrscheinlichkeit vollständig charakterisiert. Das detailierte Verhalten der Ladungsträger im Übergangsbereich ist damit hinreichend beschrieben und kann durch eine Beschreibung seines Verhaltens in der Grenzfläche ersetzt werden (s. Abb. 5.3b). Gemeinsam mit den Parametern der elektrostatischen Grenzflächenbedingung ist die Grenzfläche durch die Flächenladungsdichte , der Bandkantendiskontinuität und der Übergangswahrscheinlichkeit vollständig beschrieben.
Abbildung 5.5: Ist die Dicke der Energiebarriere an der Grenzfläche nicht zu
groß, kann sie von den Elektronen durchtunnelt werden. Das kann durch
eine geeignete Modellierung von berücksichtigt
werden.
Für die Berechnung der Tunnelwahrscheinlichkeit kann die Wentzel-Kramer-Brillouin Näherung (WKB Näherung) verwendet werden (s. Abb. 5.5),
wobei die effektiven Tunnelmasse ist und der Ort , an dem tunnelnde Ladungsträger mit der Energie E die Energiebarriere verlassen. ist die Maximalenergie der Barriere.
Für die Herleitung der Grenzflächenbedingungen für den Ladungstransport werden nun folgenden Annahmen getroffen:
Diese Erhaltungsbedingungen definieren eine Beziehung zwischen den Wellenvektoren und an der Grenzfläche zwischen zwei Teilgebieten. Im folgenden werden parabolische Bänder angenommen und die Gleichungen für den Elektronentransport abgeleitet. Die Berechnungen für Löcher sind equivalent.
Allgemein muß zwischen Transmission und Reflexion unterschieden werden. Beginnend mit der Transmission gilt mit der geforderten Energieerhaltung unter Berücksichtigung der Bandkantendiskontinuität für die Energie der Elektronen
Wird die Grenzfläche normal zur x-Koordinate angenommen, lautet die Erhaltung der Tangentialkomponenten der Impulse
Im Falle eines parabolischen Bandes mit
erhält man aus Gleichung (5.21) die Beziehung
Diese Gleichung kann unter Zuhilfenahme von Gleichung (5.22) für als Funktion von geschrieben werden
mit
Gleichung (5.25) besitzt nur dann eine reelle Lösung, wenn
ist. Diese Bedingung drückt aus, daß die Normalkomponente des Impulses eines Elektrons, das die Energiebarriere erreicht, groß genug sein muß, damit es die Barriere überwinden kann. Umgekehrt kann auch als Funktion von geschrieben werden,
Da der Ausdruck unter der Wurzel immer positiv ist, sind hier alle Elektronen in der Lage, die Barriere zu überqueren. Formal wird ähnlich zu (5.27) die triviale Bedingung
definiert.
Für die Reflexion von Elektronen gilt, wenn ein vom Teilgebiet 1 kommender Ladungsträger mit an der Barriere mit zurück reflektiert wird, die Erhaltung der Tangentialkomponenten
und für die Normalkomponenten, da das Elektron seine Richtung umkehrt,
Gleiches gilt für die Elektronen im Teilgebiet 2.
Mit diesen Erhaltungsgleichungen können nun die Grenzflächenbedingungen für die Impulse spezifiziert werden. Um die Teilchenerhaltung innerhalb eines Teilgebiets zu gewährleisten, muß die Anzahl der Elektronen, die die Grenzfläche erreichen, mit der Anzahl der Elektronen, die die Grenzfläche verlassen, übereinstimmen. Wie in [28] beschrieben, definieren die Elektronen, die in ein Teilgebiet eindringen, die Grenzflächenbedingungen. Dies bedeutet, daß für jedes Teilgebiet eine Bedingung und damit für die Grenzfläche zwei Bedingungen spezifiziert werden.
Die Anzahl der Elektronen mit dem Wellenvektor , die vom Teilgebiet 1 kommend die Grenzfläche erreichen ist proportional zu
Ersetzt man erhält man die Anzahl der Elektronen mit im Zeitintervall ( bezeichnet die Lage der Grenzfläche),
Ähnliches gilt für die Anzahl der Elektronen mit , die in das Teilgebiet 2 eindringend im Intervall die Grenzfläche verlassen,
Die Effekte an der Grenzfläche werden durch die Transmissions- und Reflexionswahrscheinlichkeiten beschrieben. ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein Elektron mit , vom Teilgebiet 1 kommend die Grenzfläche überqueren kann (s. Abb. 5.4) und die Wahrscheinlichkeit für den umgekehrten Vorgang. Zwischen diesen beiden Wahrscheinlichkeiten besteht der Zusammenhang , da die Schrödingergleichung bezüglich der Zeit symmetrisch ist. Für den Fluß ins Teilgebiet 2 gilt nun
Der Fluß in das Teilgebiet 1 ist analog definiert.
Die Erhaltungsgleichungen für die Elektronen an der Grenzfläche lauten:
Abbildung 5.6: Verlauf der Leitungsbandkante, für den das Tunneln der
Elektronen an der Grenzfläche keine Rolle spielt. Quantenmechanische Effekte
werden ausschließlich durch den abrupten Sprung der Bandkantenenergie
berücksichtigt werden. Je höher die Temperatur der Elektronen ist, um so eher
sind sie in der Lage, die Energiebarriere zu überwinden. Dieser
Effekt wird daher thermionische Emission genannt.
Betrachtet man Abbildung 5.6, so ist im Teilgebiet 2 ein flacher Bandkantenverlauf zu beobachten, sodaß das Tunneln der Elektronen vernachlässigt werden kann. Reicht die Energie der Elektronen, welche die Grenzfläche von links erreichen, aus, werden sie diese überqueren, andernfalls werden sie reflektiert. Mathematisch drückt sich die Vernachlässigung der Quanteneffekte in der Formulierung der Wahrscheinlichkeiten aus. Konnte bisher jeden Wert zwischen 0 und 1 annehmen, so sind jetzt nur mehr die exakten Werte 0 und 1 erlaubt. Das heißt, daß die Elektronen entsprechend ihrer Energie entweder transmittiert oder reflektiert werden. Für den in der Abbildung 5.6 gezeigten Fall gilt,
Mit den Beziehungen (5.28) und (5.25) erhält man
Daraus folgen die Erhaltungsgleichungen für die thermionische Emission:
Die ,,makroskopischen`` physikalischen Größen, wie der Ladungsträgerfluß und der Energiefluß über die Grenzfläche, können durch Berechnung der Momente der Verteilungsfunktion gewonnen werden. Nachdem für die Grenzflächenbedingungen nur die Flußgrößen benötigt werden, müssen die ungeraden Momente der Verteilungsfunktion berechnet werden. Da die oben abgeleiteten Gleichungen bereits einen Geschwindigkeitsterm enthalten, ist für ein ungerades Moment der Faktor gerade zu wählen. Es wird nun wie folgt vorgegangen:
Wird gewählt, erhält man die Teilchenstromdichte an der Grenzfläche, mit erhält man die Energiestromdichte an der Grenzfläche. Die entsprechenden Berechnungen für das thermionische Emissionsmodell finden sich im Abschnitt 5.2.2.