Die transporttheoretischen Ergebnisse der letzten drei Kapitel lassen sich in Form einer Energietransportmodellhierarchie zusammenfassen. Zur Darstellung der Modellhierarchie wird eine mathematische Formulierung gewählt, die unabhängig von der Wahl der Ladungsträgerstatistik und spezifischer Festlegungen physikalischer Parameter ist. Auf diese Weise ergibt sich ein formaler Rahmen für ein einheitliches Energietransportmodell mit gekoppelten Phononen- und Ladungsträgertemperaturen. Durch zusätzliche Annahmen und Festlegungen lassen sich verschiedene Gleichungssysteme herleiten.
Im komplexesten Fall wird der gekoppelte Transport von Ladungsträgern
und Energie im Halbleiter durch ein System von sechs gekoppelten,
nichtlinearen, partiellen Differentialgleichungen für das elektrostatische
Potential , die Elektronenkonzentration
, die
Löcherkonzentration
sowie für die Elektronentemperatur
, die Löchertemperatur
und
die Gittertemperatur
beschrieben.
Das System der Bestimmungsgleichungen genügt den Prinzipien der
irreversiblen Thermodynamik.
Es stellt ein thermoelektrisches Transportmodell der
den Halbleiter konstituierenden Teilsysteme dar.
Die Thermoelektrizität der Teilsysteme beruht auf Gesamtenergiebilanzgleichungen des Elektronen-, des Löcher und des Phononensystems. Die Systematik der Wechselwirkung der Teilsysteme ergibt sich mit Hilfe der Gibbs Fundamentalform nach Prinzipien der irreversiblen Thermodynamik. Im Unterschied dazu stellt die hydrodynamische Energiebilanzgleichung, die das zweite Moment der Boltzmanngleichung für einen bestimmten Ladungsträgertyp darstellt, eine Bilanzgleichung lediglich der kinetischen Energie des betrachteten Ensembletyps dar. Die Methode der Momentenentwicklung der Boltzmanngleichung stellt kein Verfahren zur Verfügung, um die Kopplung hydrodynamischer Energiebilanzgleichungen herzuleiten. Wie im vorigen Kapitel gezeigt worden ist, kann prinzipiell auch zu diesem Zweck die Gibbs Fundamentalform benutzt werden.
Das Gleichungssystem (5.1), (5.2), (5.3), (5.4), (5.5), (5.6) erlaubt die gleichzeitige, selbstkonsistente Bestimmung der Gitter- und Ladungsträgertemperaturen zusätzlich zum elektrostatischen Potential und den Ladungsträgerkonzentrationen. Es besteht aus der Poissongleichung (5.1), den Ladungsträgerkontinuitätsgleichungen (5.2), (5.3), Gesamtenergiebilanzgleichungen für Elektronen (5.4) und Löcher (5.5) sowie einer Wärmeflußgleichung für das Kristallgittersystem (5.6). Dieses einheitliche Modell des gekoppelten Phononen- und Ladungsträgerenergietransports ermöglicht eine konsistente Beschreibung des Energieaustauschs von Gitter- und Trägersystemen. Wechselwirkungen und Kopplungen von Nichtgleichgewichtseffekten der Trägersysteme aufgrund von Ladungsträgererwärmung mit Selbsterwärmungseffekten des Kristallgitters können erfaßt werden.
Wenn eine einheitliche, homogene Gittertemperatur
vorausgesetzt wird, kann Gl. (5.6) vernachlässigt werden.
Diese Annahme impliziert, daß sich das Phononensystem wie eine
ideale Wärmesenke mit unendlicher Wärmekapazität und
Wärmeleitfähigkeit verhält.
Das reduzierte Gleichungssystem stellt ein hydrodynamisches Transportmodell
dar.
Im Gegensatz zu [38], [156] enthalten die Bilanzgleichungen der
Ladungsträgerenergie
gemäß den Grundsätzen einer Thermoelektrizität der Teilsysteme
auch die potentielle Energie der Elektronen bzw. Löcher.
Wird umgekehrt angenommen, daß Elektronen, Löcher und Phononen
miteinander im thermischen Gleichgewicht sind, existiert eine einheitliche
Temperatur
, die jedoch im allgemeinen Fall nicht
uniform ist.
Dieser Grenzfall liefert das thermoelektrische Transportmodell, das zur
Beschreibung von Selbsterwärmungseffekten geeignet ist.
Eine einheitliche Temperatur der Ladungsträger und Phononen erlaubt
die Energiebilanzgleichungen
(5.4), (5.5) und (5.6)
zusammenzufassen.
Es ergibt sich folgendes, reduziertes Gleichungssystem:
Nimmt man außerdem an, daß die für Ladungsträger und
Kristallgitter einheitliche Temperatur im gesamten Halbleiter
konstant ist, erhält man das Drift-Diffusionsmodell für
isothermischen Ladungsträgertransport:
Die Auswertung der Gl. (5.2), (5.3),
(5.4), (5.5) und (5.6) erfordert die
Kenntnis der Abhängigkeit der
Quasifermipotentiale ,
von den jeweiligen
Trägertemperaturen
,
.
Die Ladungsträgerstatistik
ist nicht nur eine Funktion des bandspezifischen Quasifermipotentials
sondern auch der teilchensystemspezifischen Temperatur.
Gl. (2.57), (2.58) bzw. (2.68), (2.69)
können benutzt werden, wenn die jeweilige Trägertemperatur
eingesetzt wird:
Die Bedingung der Gleichheit der Elektronen- und Löcherkonzentration im intrinsischen Halbleiter bleibt gültig. Diese Forderung ergibt:
Gl. (5.16) stellt eine Kopplungsbedingung der Trägertemperaturen dar.
Zur Modellierung der Wärmeleitfähigkeit der Elektronen
und Löcher
kann das Wiedemann-Franz'sche Gesetz
verwendet werden. Gl. (2.99) und Gl. (3.28) bzw.
(3.29) ergeben:
Nach Gl. (5.17) kann die Wärmeleitfähigkeit der
Ladungsträger auf die elektrische
Leitfähigkeit zurückgeführt werden.
Die Lorenzzahl ist im nichtentarteten Halbleiter
gemäß Gl. (3.155) eine Funktion des vom dominierenden
Streumechanismus abhängigen numerischen Parameter
.
Werte für
im entarteten Halbleiter sind z.B. in [153] zu finden.
Das einfachste Modell der Wärmekapazitäten der Ladungsträger folgt aus der Annahme, daß das Elektronen- bzw. Löcherensemble ein ideales Gas darstellt. Nach Gl. (4.65) gilt:
Der Energietransfer zwischen den Teilsystemen infolge von Streuprozessen
wird in Gl. (5.4), (5.5), (5.6) durch
und
dargestellt.
Wie in Gl. (2.124) können Energierelaxationszeiten definiert werden:
In Gl. (5.19) steckt wie in Gl. (5.18) die Voraussetzung der Vernachlässigbarkeit der Driftenergie gegenüber der thermischen Energie des Ladungsträgergases (siehe Gl. (2.116)).